Nachlese: ServTec Expertenworkshop am 28. April 2011

Expertenworkshop Service Engineering - Service ScienceAm Vormittag des ServTec Konferenztages am 28. April 2011 haben sich am CAMPUS 02 auf Einladung unserer Studienrichtung Vertreterinnen und Vertreter aus unterschiedlichen „Fachwelten“ getroffen.
Ziel: Einen ganzheitlicheren Einblick in das Thema Service Engineering aus dem eigenen Umfeld zu geben und auch um andere Anwendungsbereich kennen zu lernen.

Im Rahmen eines vierstündigen Workshops wurden Fachvertreter aus den folgenden Bereichen eingeladen um über Service Engineering zu diskutieren:

  • Aus dem Bereich „Energie & Umwelttechnik„: Bernhard Puttinger (GF ECO WORLD STYRIA), Josef Binder (GF Binder Biomass), Ernst Kreuzer (IWI CAMPUS 02)
  • Aus dem Bereich „Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT)„: Christian Kittl (GF Evolaris), Alexander Albler (GF NTS), Georg Lindsberger (GF Xitrust), Helmut Aschbacher (IWI CAMPUS 02)
  • Aus dem Bereich „Mechatronik„: Herbert Ritter (GF M&R Automation), Udo Traussnigg (Studienrichtungsleiter AT), Stefan Grünwald (IWI CAMPUS 02)
  • Aus dem Bereich „Service Science„: Thomas Meiren (Fraunhofer IAO), Adrienne Schäfer (Hochschule Luzern), Markus Kohlbacher (IWI CAMPUS 02)

Die Aufgabenstellung: Zu den unten angeführten Leitfragen eine Präsentation vorzubereiten, dann die Ergebnisse mit den anderen Fachvertreterinnen diskutieren.

Leitfragen:
1) Wie stark ist das Thema Service Development im eigenem Industriesegment bereits verankert?
2) Welches Potential wird im Service Development gesehen?
3) Welche Rahmenbedingungen müssen aus Sicht des eigenen Industriezweiges vorhanden sein/geschaffen werden um Service Development zu stärken?
4) Welches Faktoren hemmen und welche Faktoren unterstützen das Service Development in der eigenen Industrie?
5) Wie wird Service Development derzeit im eigenen Industriesektor durchgeführt?
6) Wo geht die Reise im Service Development im eigenen Industriesektor hin?
7) Welche Maßnahmen von Politik, Wirtschaftsvertretungen (WK, IV), Wissenschaft und Forschung werden gefordert?

Die Ergebnisse aus den jeweiligen Fachbereichen waren sehr interessant. Grundsätzlich kann angemerkt werden, dass jede Industriebranche die Notwendigkeit von Dienstleistungsentwicklungfertigkeiten als sehr relevant und wettbewerbsvorteilbringend ansieht. Allerdings ist die Durchdringung von Fertigkeiten und Maßnahmen durch das Management unterschiedlich ausgeprägt.

Ergebnisse aus Energie- und Umwelttechnik:

Das Plakat in Abb. 1 zeigt die Ergebnisse der Diskussion der Fachvertreter für Energie- und Umwelttechnik (beim Anklicken des Bildes wird das Bild vergrößert).

In der Energie- und Umwelttechnik haben die Branchenvertreter festgestellt, dass das Thema Service Engineering in der Steiermark noch nicht sehr gut verankert ist (angedeutet in einer Skala bis 100%: Wert bei 20 %). Das wirtschaftliche Potential und als Disziplin für die zukünftige Entwicklung der Branche wird aber als sehr hoch angesehen (bei 80%).

Abb.1 Ergebnisse aus Branche Energie und Umwelttechnik

Bisher wurden vor allem negative Erfahrungen mit dem Thema Dienstleistung gemacht. Die Verrechnung ist schwierig und Dienstleistungen werden vom Kunden nicht wertgeschätzt (Zahlungsbereitschaft gering).

Derzeit werden Dienstleistungen vor allem „ad hoc“ („auf Zuruf“) entwickelt. Es fehlt das Know-How (Qualifikationen), es fehlt eine organisatorische Verankerung und es stellt sich heraus, dass Entwicklungsleiter vor allem Techniker sind, die mit dem Thema nicht viel anfangen können.

Auf die Frage, wo das Thema Service Development verankert sein soll, wird die Geschäftsführung und der Entwicklungsleiter angeführt. Service Development ist ein strategisches Thema und daher muss und soll die strategische Führung eines Unternehmens hier maßgeblich mitwirken.

Wo geht die Reise hin: Die Branchenvertreter sind sich einig, dass der DL Anteil beim Produktverkauf steigen wird. Im besonderen Maße werden hier die Phasen des pre- und after sales angeführt.

Fördermaßnahmen: Es wird ein „benchmarking“ gewünscht, das dazu beitragen kann, die eigene Dienstleistungsentwicklungsleistung in der Branche vergleichbar zu machen. Mehr Anstrengungen im Bereich angewandte Forschung und Entwicklung wird gefordert. Hier stellt sich vor allem die Zusammenarbeit mit universitären und außeruniversitären Bildungseinrichtungen als wichtiger Ansatz dar. Sehr oft verfügen Unternehmen nicht oder über zu wenig FuE Ressourcen. Wünschenswert wären auch Best Practice Beispiele von denen gelernt werden kann. Obwohl der Wettbewerbsfaktor in der Branche hoch ist, werden Workshops im engen Kreis mit Wissensaustausch zwischen Firmen als wichtig aufgezählt.

Schlussendlich wird auf das notwendige (aber leider fehlende) Ausbildungsangebot hingewiesen. Hier muss nachgezogen werden.

Ergebnisse aus IKT:

Die Plakate in Abb. 2 und Abb. 3 zeigt die Ergebnisse der Diskussion der Fachvertreter für Informations- und Kommunikationstechnik (beim Anklicken des Bildes wird das Bild vergrößert).

Die Branchenvertreter unterscheiden grundsätzlich zwischen traditionellen (durch Mensch erbrachte) und IT-gestützten (durch „Maschine“ erbrachte) Dienstleistungen in ihrer Branche. Es wird auch der Trend weg vom Produktanbieter hin zum Lösungsanbieter wahrgenommen. Kunden suchen/erwarten Lösungen bzw. Lösungspakte und keine Produkte mehr.

Abb.2 Ergebnisse aus IKT

Durch den extremen Wettbewerb in der IKT Branche in der Steiermark wird das Fokussieren auf Dienstleistungen als einzige Möglichkeit zur Differenzierung zum Mitbewerb angesehen. Dabei führen die Branchenvertreter die wichtigste Fähigkeit zur Umsetzung und Erbringung von Dienstleistungen an: „Soft Skills“ mit besonderen Fähigkeiten der MitarbeiterInnen im Bereich der Emphatie und der Kreativität.

Was derzeit als verwirrend angesehen wird, ist die Begriffsvielfalt im Themengebiet der Dienstleistungsentwicklung. Es wird u.a. von Service Design, Service Engineering und New Service Development gesprochen. Wichtig ist hier eine umfassende Abgrenzung um einen einfacheren Einstieg in das Thema Dienstleistungsentwicklung zu geben. Die jeweilige Disziplin kann, die für das eigene Unternehmen passend ist, kann dann herausgefunden werden. Es werden also sehr wohl bereits unterschiede zwischen den „Strömungen“ wahrgenommen und es wird auch pragmatisch festgestellt, dass jede Ausprägung seine Vor- und Nachteile hat die man durch intelligentes verschränken der Methoden zu einem erfolgreichen Ziel führen kann.

Als wichtigen Ausgangspunkt für jede Dienstleistungsentwicklung wird das Business Model (BM) gesehen. Ohne zu Grunde liegenden BM wird jede Entwicklung einer Dienstleistung scheitern. Daher muss aus strategischer Sicht die Dienstleistungsentwicklung in Kombination mit einem entsprechenden BM ausformuliert werden.

Die zeitliche Struktuierung der Entwicklung von Dienstleistungen wird im organisatorischen Umfeld als sehr komplex und herausfordernd gesehen. Die ausgewogene Koordination der Kombination von Produkt-/Dienstleistungsentwicklung wird als erfolgskritisch wahrgenommen.

In Abbildung 3 wird auf das Produkt/Dienstleistungsbündel hingewiesen: Viele Produkte verkaufen sich nur noch über die Dienstleistungen die mit dem Produkt gebündelt angeboten werden. Weiters wird das Produkt als Träger des Dienstleistungsbündels teilw. verschenkt (siehe Open Source) und die Dienstleistungen sind die Faktoren über die der Revenue Stream erfolgt.
Abb.3 Ergebnisse aus IKT

In der Überlegung, was das gemeinsame „Meta-Thema“ zum Produkt Management (New Produkt Development) und Service Management (Service Design, Service Engineering) sein muss, wird der Begriff „user experience“ angeführt. In dem Zusammenhang wird auch der Ansatz der Firma „salesforce.org“ genannt. Salesforce hat eine Position für einen „Kundenversteher“ geschaffen, der zwischen Sales und Produktdevelopment aufgestellt ist. Die Aufgabe: Zu verstehen, was der Kunde braucht, wie das Business des Kundens funktioniert und welche Anforderungen sich daraus ableiten. Im Hintergrund steht nicht das Suchen nach Lösungen die vertrieben werden können für den Kunden sondern ein ganz klarer Wunsch, den Kunden besser als Partner kennen zu lernen. Dieser „user experience“ Manager hat eine sehr starke Kundenzentrierung aufzuweisen, muss sich aber deutlich von Sales abgrenzen und muss auch über ein Portfolio an interdisziplinären Skills (Technik, Wirtschaft, Soft Skills, etc.) verfügen.

Ergebnisse aus Mechatronik:

Das Plakat in Abb. 4 zeigt die Ergebnisse der Diskussion der Fachvertreter für Mechatronik (beim Anklicken des Bildes wird das Bild vergrößert).

Die Branchenvertreter der Mechatronik sehen das Thema Service Engineering noch nicht verankert in der Branche. Teilweise ist der Begriff auch völlig unbekannt. Die Umsetzung des Themas wird aber als (überlebens)notwendig betrachtet. Service Engineering wird hier als Mittel zum Zweck (des Differenzierens zum Mitbewerb) verstanden.

Abb.4 Ergebnisse aus Mechatronik

Das Potential von Service Engineering wird vor allem in den Bereichen der Konzeptentwicklungsphase, des Prozesshochlaufs und der Anlagenwartung und des Anlagencoachings gesehen. Hier können Dienstleistungen einen unmittelbaren Mehrwert für das Unternehmen schaffen.

Die Rahmenbedinungen die erfüllt sein müssen aber nicht (immer) gegeben sind: Dienstleistungen werden beim Kunden nicht wahrgenommen. Die Transparenz und Sichtbarkeit der Leistung beim Kunden ist ein wichtiges Thema, an dem gearbeitet wird, da viele Dienstleistungen sonst nicht verrechenbar sind. Dienstleistungen können die Wertigkeit von technischen Kompetenzen erhöhen, müssen aber gut abgestimmt gebündelt werden mit den Produkten.

Die Frage nach hemmenden und unterstützenden Faktoren wird dahingehend bewertet, dass die fachliche Kompetenz teilw. nicht gegeben ist, um Dienstleistungsentwicklung umzusetzen im Unternehmen. Es ist auch ein fehlendes strategisches Verständnis für das Thema gegeben.

Wo geht die Reise hin: Wenn Anfangs (2000) noch Anlagenteile für den Kunden erstellt wurden, so werden heute (2010) vom Kunden nur noch ganze Anlagen geordert. Der Mechatroniker muss nun als Generalunternehmer die Entwicklung übernehmen und der Kunde erwartet die Lieferung und den Aufbau des Gesamtsystems. Prognose: Der Kunde ist an keiner Anlage mehr interessiert sondern nur noch an den Produkten. Unternehmen wird zum Lösungsanbieter entlang der Wertschöpfungkette.

Welche Maßnahmen wäre notwendig um das Thema besser zu verankern: Gefordert wird eine erhöhte Transparenz und Wertschätzung von Dienstleistungen in der Mechatroniker Branche. Es muss in den Bereichen (Aus-)Bildung, Personalentwicklung und Förderung gearbeitet werden, um eine raschere Einbindung des Themas in die Mechatronikerbrachen zu ermöglichen.

Wo ist das Thema aufgehoben im Unternehmen: Es wird vorgeschlagen, ein unternehmensinternes Support- und Coachingcenter einzurichten, das auch die Dienstleistungentwicklung mitübernimmt.

Ergebnisse aus Service Science:

Das Plakat in Abb. 5 zeigt die Teilergebnisse der Diskussion der Fachvertreter für Service Science (beim Anklicken des Bildes wird das Bild vergrößert).

Die Vertreter aus dem Bereich Service Science sehen grundsätzlich eine fraktalisierte Wissenschaftslandschaft bei der Frage, wie stark das Thema Service Development im eigenem Segment bereits verankert ist. Service engineering, New Service Development und Service Design tragen in Summe zu einer gewissen Verwirrung bei und hemmen tlw. die Entwicklung des Themas in wissenschaftlicher Sicht.
Abb.5 Ergebnisse aus Service Science

Welches Potential wird im Service Development gesehen: Das Thema wird als interessantes Nischenthema wahrgenommen. Es gibt hier keinen Hype, der zum Beispiel vom Thema CRM (Customer Relationship Management) ausgelöst wurde. Es wird ein langsames aber stetiges Wachstum in dem Bereich geben.

Welche Rahmenbedingungen müssen aus Sicht des eigenen „Industriezweig“ vorhanden sein/geschaffen werden um Service Development zu stärken: Es wird notwendig sein, verstärkt Lehrstühle und Zentren zu schaffen, die um das Thema gezielter forschen können.

Welches Faktoren hemmen und welche Faktoren unterstützen das Service Development in der eigenen Industrie: Wieder wird auf ein „babylonisches“ Begriffsverwirren hingewiesen, dass es in der Service Science gibt. Die Forscher kommen aus den Bereichen Marketing, Design, Ingenieurstechnischen Diesziplinen und bringen daher eine jeweils „gefärbte“ Sichtweise auf das Thema mit. Ein mangelndes Grundverständnis ist aus dem Grund gegeben, weil es keine eindeutige einzige Definition für das Thema Dienstleistung gibt. Unterstützen kann eine verstärkte Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und Wirtschaft.

Zusammenfassend kann man abschließend folgendes über die Diskussionen der unterschiedlichen Fachvertreter festhalten:

  • Das Thema Dienstleistungsentwicklung wird als wesentlicher zukünftiger Wettbewerbsfaktor in jeder Branche wahrgenommen.
  • Kunden entwickeln sich immer mehr zum oder sind bereits Gesamtlösungskäufer mit hohen Forderungen im Bereich der Dienstleistungen rund um das Produkt.
  • Es fehlen in vielen Branchen organisatorische und fachliche Kenntnisse um das Thema weiter zu treiben. Hier werden verstärkt Ausbildungmaßnahmen von Bildungseinrichtungen gefordert.
  • Die Zusammenarbeit mit FuE Einrichtungen wird gewünscht und befürwortet.